Verkehrssicherungspflicht im Reitstall
Im geschilderten Fall hatte sich ein Pferd an einer instabilen Bande einer Longierhalle stark verletzt. Der Verlauf des Verfahrens zeigt, wie wichtig es aus Beweisgründen ist, den Sachverhalt genau festzuhalten und auch Fotos anzufertigen.
Die Haftpflicht von Stallbetreibern umfasst immer auch die Verkehrssicherungspflicht: Das bedeutet, dass der Stallbetreiber dafür Sorge zu tragen hat, dass von seiner Anlage keine Gefahren für Mensch oder Tier ausgehen. Üblicherweise findet man in diesem Zusammenhang Urteile zu defekten Zäunen, morschen Anbindebalken oder gefährlichen Boxen. Aber auch von Reit- und Longierhallen können Gefahren für Pferd und Reiter ausgehen.
Anhand eines Falles in Frankfurt, bei dem sich ein Pferd in einer Longierhalle verletzte, soll aufgezeigt werden, welche Pflichten den Inhaber treffen und welche Schwierigkeiten bei der Rechtsdurchsetzung auftreten können.
Was war passiert?
Der Fall war aus Sicht der Klägerin zunächst sehr einfach und eindeutig. Im Januar 2006 longierte sie ihr Pferd in der Longierhalle auf dem Hof des Stallbetreibers. Wie häufig in Reitställen, war auch hier der Hallenboden nicht optimal und ziemlich rutschig. Während des Longierens traf das Pferd mit dem linken Vorderhuf die Hallenwand, begann zu lahmen und stark zu bluten. Ein sofort angelegter steriler Mullverband war binnen kürzester Zeit mit Blut durchtränkt.
Die sofort herbeigerufene Tierärztin entfernte aus dem Kronrand ein Holzstück. Da sie noch weitere Holzsplitter im Huf vermutete, riet sie der Klägerin, das Pferd in eine Klinik zu bringen. Die Klägerin folgte dem Rat glücklicherweise. Bei weiteren Untersuchungen konnte nämlich festgestellt werden, dass unter der äußeren Zehenwand im linken Vorderhuf die Ecke einer Holzplatte steckte. Das Pferd wurde sofort operiert und später orthopädisch beschlagen.
Das Ergebnis der Longenarbeit waren also hohe Tierarztkosten, ein nicht nutzbares Pferd, dessen Behandlungserfolg völlig offen war. Natürlich wollte die Klägerin Ersatz ihrer Schäden. Da der Stallbetreiber nicht zahlen wollte, stattdessen die Klägerin sogar aus dem Stall warf, kam es zum Rechtstreit.
Schaden fotografiert
Um den Stallbetreiber erfolgreich verklagen zu können, ist ein „Rechtsgrund“ erforderlich. Dabei wird geprüft, ob der Stallbetreiber schuldhaft einen Fehler begangen und ob dieser die Verletzung verursacht hat.
Die Klägerin hatte glücklicherweise die Hallenwand des Longierzirkels gleich nach dem Unfall genau untersucht. Dabei stellte sie fest, dass die Bande aus Spanplatten bestand, die im unteren Bereich eingerissen und ausgefranst waren, weil die Pferde den Sand vom Hufschlag aus zunehmend gegen die Bande geschleudert hatten. Da das Material nicht stabil genug war, riss es ein und bildete Lücken und Spalten. In diese musste das Pferdebein gekommen sein, wie Blutspuren an der Wand verrieten.
Damit war für die Klägerin der Fall klar: Der Stallbetreiber hatte nicht nur einen rutschigen Boden, sondern auch noch gefährliche Hallenwände, an denen sich ihr Pferd den Schaden zugezogen hatte. Damit hatte er seine Verkehrssicherungspflicht mindestens fahrlässig verletzt. Hätte er regelmäßig die Wände und den Boden überprüft, hätte er nämlich die Schäden an der Bande bemerkt und repariert.
Allerdings hätten selbst bei einem so klaren Sachverhalt die Ansprüche noch scheitern können. Das wäre der Fall gewesen, wenn der Betreiber im Einstellungsvertrag die Haftung für fahrlässiges Verhalten ausgeschlossen hätte. Dann hätte nämlich die Klägerin beweisen müssen, dass der Stallbetreiber grob fahrlässig gehandelt hat und ein derartiger Nachweis ist immer deutlich schwieriger zu führen und gelingt häufig nicht.
Glücklicherweise hatte in diesem Fall der Stallbetreiber keine derartige Klausel im Vertrag. Die Sachlage schien klar. Der Stallbetreiber wurde verklagt.
Überraschung…
Mit der Klagerwiderung kam die erste Überraschung. Der Stallbetreiber behauptete, er habe nichts mit der Halle zu tun. Zwar habe er sie gebaut, versichert und sei auch ihr Eigentümer. Mit dem Betrieb wollte er aber nichts zu tun haben, weil sie der Reitclub des Stalles angeblich gemietet hatte. Die Klage, so der Stallbetreiber, müsse deswegen gegen den Verein gerichtet werden.
Diese Auffassung ist nur bedingt richtig. Der Eigentümer einer Anlage kann zwar seine Verkehrssicherungspflicht delegieren, wie z.B. der Hauseigentümer das Schneeschieben. Ihn treffen dann aber dennoch Kontroll- und Überwachungspflichten. Da der Stallbetreiber auf dem Hof lebt, täglich an der Halle vorbei geht und für die gesamte übrige Anlage verkehrssicherungspflichtig ist, dürfte seine Haftung gleichwohl bestehen bleiben.
Um alle Risiken aus zu schließen, wurde sicherheitshalber der Verein gleichzeitig mitverklagt. Sollte nämlich der Vortrag des Stallbetreibers stimmen, würde der Verein ebenfalls haften. Die Beklagten erfanden sodann allerlei Gründe, um sich von der Verantwortung frei zu reden: So wurde zunächst behauptet, dass die Hallenwände völlig in Ordnung gewesen seien, was durch die angefertigten Fotos widerlegt werden konnte.
Sachverständigengutachten
Allerdings reichte das dem Gericht nicht und es beauftragte nachträglich einen Sachverständigen. Dieser stellte fest: „Da zum Schadenszeitpunkt eine Sockelumrandung fehlte, konnten die einzelnen Spanholzplatten der inneren Schubbelastung des Hufschlags nicht standhalten, riss ein und wurde nach außen gedrückt. Dadurch konnten gerade an den Anstoßstellen der Spanholzplatten gefährliche Löcher und Spalten entstehen. Diese Gefährdungserkenntnis ist nicht neu. Da der untere, im Bereich der Tretschicht liegende Teil der Umrandung auch besonders fäulnisgefährdet ist, wird im Reithallenbau grundsätzlich ein Betonsockel oder Hartholz empfohlen. Die alleinige Umgrenzung der Longierhalle mit Spanholzplatten ohne Metallrahmenbefestigung ist unzureichend. Eine Verkehrsicherheit lag zum Schadenszeitpunkt nicht vor. Deutlicher konnte das Sachverständigengutachten nicht ausfallen.
Immer noch keine Einsicht
Die Beklagten meinten darauf hin, das Pferd habe sich gar nicht in der Longierhalle verletzt. Die Klägerin wies darauf hin, dass die heraus operierten Holzstücke bei der Gerichtsakte lägen und jederzeit ein weiteres kostspieliges Gutachten zum Material und der DNS des Pferdes eingeholt werden könne. Die Beklagte meinte sodann, die Klägerin habe das Pferd unsachgemäß longiert. Bei ordnungsgemäßem Longieren, was immer damit auch gemeint sein soll, wäre nichts passiert.
Auch hierzu nahm der Sachverständige Stellung und erklärte, dass Pferde gerade beim Longenieren öfter nach außen und zur Seite drängten oder einfach ausrutschten. Die Außenwand muss deshalb ein Mindestmaß an Stabilität aufweisen. Wenn gerade im Sockelbereich Löcher oder Schwachstellen entstehen, in denen ein Huf hängen bleiben oder gar hindurch treten kann, sind erhebliche Verletzungen möglich.
Schließlich wurde seitens der Beklagten die Fachkompetenz des Sachverständigen angezweifelt und behauptet, er sei parteiisch.
Das Amtsgericht folgte diesem Ansinnen des Beklagten und holte ein weiteres Sachverständigengutachten ein. Dieser wiederum bestätigte, dass die Reithalle aus einer sicheren Umrandung bestehe und Verkehrssicher gewesen sei. Allerdings beurteilte er die Halle zwei Jahre nach dem Unfall. Zu diesem Zeitpunkt war außen bereits ein Stabilisierungsring angebracht.
Das Amtsgericht und das Berufungsgericht folgten diesem Gutachten und wiesen die Klage im Ergebnis ab: der Fall war verloren.
Wasserdichte Beweise und Durchhaltevermögen
Der Ablauf zeigt, dass man als Kläger gut daran tut, sofort alles zu protokollieren und mit Fotos festzuhalten. So erhält das Gericht zum einen von den Örtlichkeiten eine gute Vorstellung, zum anderen belegen die Fotos die Situation zum Schadenszeitpunkt.
Doch auch bei bester Beweislage kann jeder Fall Überraschungen mit sich bringen, den Rechtsstreit unerwartet verlängern und in eine andere Richtung bringen. Vor allem dafür benötigt der Kläger ausreichend finanzielle Mittel, besser noch eine Rechtschutzversicherung. Denn sowohl die Gerichtskosten also auch das Sachverständigenhonorar musste die Klägerin verauslagen und im Ergebnis auch zahlen, da sie beweispflichtig war und aufgrund des seltsamen Sachverständigengutachtens sowie der Beweiswürdigung des Gerichts den Prozess verlor.
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